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Interview mit Madonna 2000


malawi_030409_gumulira_ns6.jpgLos Angeles, Beverly Hills, das Büro von Madonnas Plattenfirma "Maverick". Ihre Assistentin schiebt das Video in den Recorder, über den Bildschirm flackert der Clip zur ersten Single aus Madonnas neuem Album "Music". Madonna in Rapper-Pose, Madonna als verführerisches Superhero-Macho-Mädchen Muff Daddy, ganz in Weiß, in einem Hosenanzug und Mantel. Gerade hat die Assistentin die Kassette aus dem Recorder floppen lassen, da ertönen energische Schritte im Flur, tack, tack, tack, und eine hohe, bekannte Stimme, die laut "hallo" ruft.

Und dann steht die Chefin selbst in der Tür.

Größer könnte der Unterschied zu ihrem Video-Auftritt nicht sein. Madonna wirkt winzig. Sie hat eine kanariengelbe Wolljacke um ihre Schultern gelegt und trägt eine Dose mit roten Erdbeerlakritzstangen vor sich her. Ihre blonden, schulterlangen Haare sehen strähnig aus. Ihr Gesicht wirkt nackt und verletzlich. Es ist entweder raffiniert dezent oder gar nicht geschminkt. Sie ist bleich und wirkt abgespannt, mit ein paar Falten um Augen und Mund, die die Frau sympathisch echt aussehen lassen.

Sie lässt in ihrem spärlich eingerichteten Büro zwei Stühle aufstellen, und wir reden - anfangs sogar über Deutschland. Früher, sagt sie, hätte sie kaum gewusst, wo das liegt. Doch seit die 42-jährige Amerikanerin mit ihrem englischen Freund, dem Filmregisseur und Autor Guy Ritchie, zusammenlebt, interessiert sie sich brennend für Europa. Ihr neues Album "Music" hat sie vor allem in London aufgenommen.

 

kulturSPIEGEL: Sie hatten bei den Aufnahmen zu "Music" keinen amerikanischen Produzenten dabei. Selbst Ihr Kreativpartner Patrick Leonard, der für einige Ihrer größten Hits mitverantwortlich war, fehlt - ist das die neue Madonna?

Madonna: Vielleicht ... Ich war wohl in Experimentierlaune.

kulturSPIEGEL: Warum haben Sie gleich mehrere Songs mit dem unbekannten französischen Produzenten Mirwais Ahmadzaï aufgenommen?

Madonna: Er hatte das Demo seines neuen Albums "Production" an meine Plattenfirma Maverick geschickt. Ich hörte es zufällig und sagte zu meinem Firmenpartner: Erstens ist der Mann brillant, zweitens möchte ich mit ihm arbeiten. Denn es war genau die Richtung, in die ich jetzt gehen will. Ich wollte einen neuen Sound. Mein letztes Album klang ja schon sehr elektronisch. Und ich wollte das auf einem anderen Niveau weiterführen, ohne mich zu wiederholen. Als ich Mirwais' Platte hörte, sagt ich: wunderbar. Es gibt einen Gott.

kulturSPIEGEL: Und Ihr erstes Kind, Ihre fast vierjährige Tochter Lourdes Maria, hat assistiert?

Madonna: Lola war fast jeden Tag mit im Studio. Zum Glück hat sie sich nur auf den Fußboden gelegt und Bilder gemalt. Nur manchmal hat sie einen Knopf gedrückt, den sie nicht drücken sollte.

kulturSPIEGEL: Ist Lourdes mit auf der Platte?

Madonna: Sie singt zwar ganz gut. Aber ich weiß ganz genau, wenn ich ihr gesagt hätte: "Geh doch jetzt mal in die Kabine und sing", dann hätte sie es nicht getan. Ich hätte mich nicht drauf verlassen können, dass sie irgendetwas so tut, wie sie es soll.

kulturSPIEGEL: Haben die Kinder in Ihrem Leben Ihre Kunst beeinflusst?

Madonna: Klar, Kinder vermitteln einem den Zugang zu etwas Spielerischem, Unschuldigem, von dem man sich als Erwachsener längst entfernt hat. Lola hat mich - vielleicht auch uns - emotional beeinflusst. Deshalb klingt das Album auch so befreit.

kulturSPIEGEL: Ihre Stimme klingt diesmal sehr weich, sehr entspannt.

Madonna: Ist das ein Kompliment?

kulturSPIEGEL: Unbedingt!

Madonna: Vielleicht weil ich während der Aufnahmen in einer sehr friedlichen, heiteren Stimmung war. Es hilft, wenn man verliebt ist.

kulturSPIEGEL: Ist Ihre Liebe immer ungetrübt? Oder gibt es auch Machtkämpfe?

Madonna: Ich sollte nicht darüber sprechen, das habe ich Guy versprochen. Aber gut, das eine kann ich Ihnen verraten: Guy ist sehr intelligent, und er hat einen starken Willen - genau wie ich -, Sie können sich also vorstellen, was da zwischen uns manchmal abgeht. Aber ich mag keine Menschen, die man herumschubsen kann. Ich will herausgefordert werden. Kopfnicker, die man leicht beeindrucken kann und die auch noch politisch korrekt sind, hasse ich. Das ist so langweilig.

kulturSPIEGEL: Sind Sie politisch korrekt?

Madonna: Nein. Ich trage gern Pelz. Und Guy geht gern zur Jagd und schießt Kaninchen und Tauben, und dann essen wir die Viecher, und sie schmecken uns: Da haben Sie's.

kulturSPIEGEL: Guy war Legastheniker und ist ein paar Mal von der Schule geflogen. Trotzdem hat er es geschafft, sich hochzuarbeiten. Verbindet Sie das mit ihm?

Madonna: Er hat seine Bildung eher aus dem Leben als von der Schule. Und er ist jetzt ein brillanter Schreiber. Ist es nicht interessant, wie wir manchmal Schwächen überwinden und daraus Stärken entwickeln? Menschen, die mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt kommen, sind nicht unbedingt diejenigen, die sich durchkämpfen. Aber die sind meistens viel interessanter. Oder?

kulturSPIEGEL: Sie sprechen von sich?

Madonna: Ich bin ohne Mutter aufgewachsen. Und in einer Umgebung, in der es nicht sehr viel Kultur gab. Das hat mich richtig hungrig gemacht. Auch die Tatsache, dass ich eine Frau bin und alles allein gemacht habe.

kulturSPIEGEL: Glauben Sie, dass Sie viel für das Selbstbewusstsein der Frauen getan haben?

Madonna: Das hoffe ich. Durch meine Arbeit und durch das, was ich ihnen vorgelebt habe. Früher wurden Frauen ja dazu erzogen, daran zu glauben, dass sie die Hilfe eines Mannes brauchen, um im Leben etwas zu erreichen. Und es ist ein phantastisches Gefühl, wenn man als Frau etwas ganz allein geschafft hat. Außerdem macht das eine Frau für einen Mann sehr attraktiv. Liebe baut auf Ehrfurcht auf, und auf Respekt. Und wie kannst du Ehrfurcht vor jemandem haben, der sich nicht um sich selbst kümmern kann? Du fängst ja an zu denken, dass du besser bist als er. Und das ist keine gute Dynamik.

kulturSPIEGEL: Hat Guy auf Ihre Musik Einfluss genommen?

Madonna: Seine Meinung war wahnsinnig wichtig. Ich spielte ihm viele der Songs in unfertigem Zustand vor, und er liebt Mirwais, er verwendet dessen Musik in seinem nächsten Film. Und Guy steht total auf alten Reggae, frühe Ska-Musik und Sixties-Soul. Dazu moderne, eckige Sachen wie The Prodigy und Moby.

kulturSPIEGEL: Sie haben das Album in London aufgenommen und sich danach über die Arbeitsmoral der Engländer beklagt. Was lief falsch?

Madonna: Als Amerikanerin bin ich es gewöhnt, mit Menschen zu arbeiten, die nie schlafen. All meine Angestellten schuften im Ernstfall rund um die Uhr. Wenn es in England plötzlich abends oder am Wochenende hieß: Feierabend! - reagierte ich total frustriert. Na ja. Die englische Einstellung hat allerdings auch Vorteile.

kulturSPIEGEL: Welche?

Madonna: Wir Amerikaner wissen auch nicht, wie man das Leben genießt. So war ich gezwungen, nach Hause zu gehen und dort Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Aber ich bin nun mal ein unermüdliches Arbeitspferd. Und um mich zu entspannen, muss ich mir nur gute Kunst ansehen - zum Beispiel in einem Museum. Und Lola nehme ich mit.

kulturSPIEGEL: Sie kommt freiwillig mit?

Madonna: Von Anfang an habe ich sie mit in Museen geschleppt. Und jetzt ist sie sehr neugierig auf Kunst, immer wenn wir in einer Stadt wie Paris, Madrid, Rom oder London sind, gehen wir alle zusammen in eine Ausstellung. Mein Kindermädchen malt selbst und interessiert sich sehr für Kunst. So haben wir alle unseren Spaß. Lola liebt Picasso, Matisse und die alten Meister.

kulturSPIEGEL: Warum ausgerechnet die?

Madonna: Weil die immer Menschen malen, die leiden und bluten. Lola ist besessen von den Kreuzigungsbildern. Jesus am Kreuz mit all den Stigmata. Darauf steht sie. Ich glaube, sie ist einfach von der Gewalt in den Bildern fasziniert.

kulturSPIEGEL: Sie haben gegen Ihre eigene katholische Erziehung rebelliert. Erziehen Sie Lola religiös?

Madonna: Das ist ein schwieriges Thema, weil ich nicht an organisierte Religionen glaube - aber sehr wohl an Gott. Es ist nicht einfach zu entscheiden, was man seinem Kind beibringt. Lola weiß, wie man betet, und sie weiß, wer Gott ist und dass es ihn gibt.

kulturSPIEGEL: Als Sie Ihr Video drehten, waren Sie hochschwanger. Davon ist nichts zu sehen.

Madonna: O Gott, das war schwierig! Weil ich ja meinen Bauch verstecken musste. Deshalb drehten wir die meisten Szenen im Sitzen in einer Limo. Und bei den Nachtclubszenen hat alles um mich herum getanzt. Und ich durfte nicht mittanzen. Schrecklich. Nächstes Mal zeige ich's denen aber.

kulturSPIEGEL: In diesem Video präsentieren Sie sich als Muff Daddy, das weibliche Gegenstück zum Rapper Puff Daddy.

Madonna: Genau. Superfly, Hohe Priesterin des Punk-Rock und Punk-Pop.

kulturSPIEGEL: Was predigen Sie denn?

Madonna: Dass man sich amüsieren soll.

kulturSPIEGEL: Wir reden vom erotischen Amüsement: Mietet eine schicke Stretchlimousine, fahrt durch die Gegend und sucht euch ein paar nette Jungs.

Madonna: Oder Mädels.

kulturSPIEGEL: Die Mädels im Video sind fast nackt.

Madonna: Wir zeigen keine nackten Brüste. Und die Mädchen haben einen G-String an. Aber das ist doch in jedem Rap-Video so. Und wenn man eine Veralberung dieses Genres drehen will, muss das Ganze in einem Nightclub stattfinden. Und es müssen Mädels im G-String her.

kulturSPIEGEL: Dabei haben Sie sich doch gerade kürzlich über die nackten Frauen aufgeregt, die täglich in den englischen Tageszeitungen zu sehen sind.

Madonna: Aufgeregt? Nein - ich finde es nur komisch, dass Briten in ihren Zeitungen nackte Frauen zeigen. Okay, für eine Amerikanerin ist so etwas schockierend. Das würde in unserem Land nie erlaubt.

kulturSPIEGEL: Sie haben sich doch auch nie geniert, sich nackt zu zeigen.

Madonna: Ich weiß. Ich verurteile das ja auch nicht. Ich mag auch den britischen Humor, der ist ausgefeilt und trocken, der amerikanische Humor hingegen ist grob. Ich wollte ja auch nur sagen, dass es absurd ist, dass die Amerikaner als befreit und offen gelten und die Engländer als sehr konservativ und sexuell verklemmt. Bei uns werden keine Nackten gezeigt. Und in London? Also wirklich, hier kannst du nirgends hingehen, ohne dass du auf ein paar nackte Titten guckst.

kulturSPIEGEL: Schicken Sie deshalb Ihre Tochter in London auf eine französische Schule - um sie ein bisschen behüteter aufwachsen zu lassen?

Madonna: Ich will vor allem, dass sie eine Fremdsprache lernt. Ich spreche ja selbst ein bisschen Französisch. Diese französischen Schulen arbeiten nach dem europäischen System. Sie stellen höhere Anforderungen als die amerikanischen Schulen. Außerdem gibt es auch je ein Lycée mit demselben Programm in New York und Los Angeles. Auf diese Weise kann Lola problemlos zur Schule gehen, wenn ich in einer dieser Städte bin.

kulturSPIEGEL: Wie gehen Sie mit Misserfolgen um, zum Beispiel mit dem Flop Ihres letzten Films "Ein Freund zum Verlieben"?

Madonna: Ich sage mir: Ich habe ja noch eine andere Karriere.

kulturSPIEGEL: Tut es nicht trotzdem weh?

Madonna: Ich habe genügend Selbstbewusstsein. Ich weiß, dass ich gute Arbeit mache. Und wenn das in der Öffentlichkeit nicht als gute Arbeit aufgenommen wird, dann enttäuscht mich das, weil ich so viel harte Arbeit reingesteckt habe. Aber es wäre Zeitverschwendung, sich selbst zu bemitleiden. Ich schaue lieber nach vorn. Und ich bin sehr dankbar, dass ich noch andere Ausdrucksmöglichkeiten habe.

kulturSPIEGEL: Planen Sie weitere Filme?

Madonna: Im Moment nicht. Jetzt kommt erst mal meine Platte heraus. Ich kann mich nicht für einen weiteren Film verpflichten, weil ich gar nicht weiß, wann ich auf Tour gehe. Dann muss ich mich um meine Kinder und meine Plattenfirma kümmern. Alanis Morissette arbeitet gerade im Studio an ihrem neuen Album. Und wir haben eine 14-jährige Schwedin namens Amanda unter Vertrag genommen. Sie klingt phantastisch, ein bisschen wie Britney Spears.

kulturSPIEGEL: Was mögen Sie an Britney Spears?

Madonna: Sie ist immer so wunderbar braun gebrannt.

kulturSPIEGEL: Aber sie hat keine besonders aufregende Stimme, oder?

Madonna: Das haben die Leute auch über mich gesagt, als ich anfing. Britney Spears ist doch erst 18, was erwarten Sie von ihr? Ich möchte Menschen nicht vorverurteilen. Es führt nirgends hin.

kulturSPIEGEL: Welchen Rat geben Sie jungen Musikerinnen mit auf den Weg?

Madonna: Geh deinen Weg allein. Arbeite hart. Pass auf, dass du nicht ausbrennst. Nimm dir Zeit. Sei du selbst.

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